Raum für Jugendliche

Wir fordern gemeinsam mit SOS-Kinderdorf: Verständnis und öffentlichen Raum für Jugendliche



Wir fordern gemeinsam mit SOS-Kinderdorf: Verständnis und öffentlichen Raum für Jugendliche

Bild: © SOS-Kinderdorf / Katerina Ilievska

Die Corona-Maßnahmen haben jungen Menschen viel abverlangt. Die monatelange soziale Isolation, die Herausforderungen im Distance-Learning, das Verbot von Vereinsaktivitäten und die Einschränkungen, sich mit Freund*innen unbeschwert im öffentlichen Raum zu treffen, wirken sich negativ auf das psychische Wohlergehen vieler Jugendlicher aus. Umso wichtiger ist es daher gerade jetzt im Blick auf den Sommer, ihnen Platz im öffentlichen Raum zu geben, wo sie Gleichaltrige treffen, Spaß haben und eine sorgenfreie Zeit ohne Konsumzwang verbringen können.

Wir beobachten seit Mai 2020 einen steigenden Bedarf nach unserem psychotherapeutischen Beratungsangebot“, berichtet Dr. Rudolf Fessl, der fachliche Leiter des Kinderhilfswerks. „Belastende Situationen wie Überforderung im Homeschooling, Ängste, den Anschluss in der Schule zu verlieren oder den Berufseinstieg nicht zu schaffen, der fehlende persönliche Austausch mit Freund*innen und das Gewaltpotenzial in den eigenen vier Wänden, besonders dort, wo der Wohnraum beengt ist, haben deutlich zugenommen. Wir sehen mit Sorge, dass sich vor allem Jugendliche vermehrt zurückziehen, zu depressiven Episoden neigen und Selbsttötungsgedanken hegen“, ergänzt der Kinder- und Jugendlichentherapeut. Die Erfahrungen des Kinderhilfswerks bestätigen damit eine Studie der Donau-Uni Krems und der Medizin-Universität Wien vom Jänner 2021 sowie eine aktuelle Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): Seit dem Beginn der Corona-Krise haben psychische Leiden vor allem bei jungen Menschen stark zugenommen. In einigen Ländern haben sich Angststörungen und Depressionen sogar verdoppelt.

Die Bedürfnisse und Anliegen von Jugendlichen ernst nehmen

Es ist daher verständlich, dass bei Jugendlichen jetzt, wo sich die Situation rund um die Corona-Krise entspannt, Maßnahmen gelockert oder gar aufgehoben werden, das Bedürfnis nach Spaß und Feiern mit Gleichaltrigen besonders groß ist. Ihr Leben wurde über ein Jahr lang auf „Stopp“ gestellt, nun möchten sie ihren Alltag wieder altersgemäß verbringen. Für mediales Aufsehen sorgte deshalb vergangene Woche die Eskalation zwischen Polizei und Jugendlichen im Zuge einer nächtlichen Feier am Wiener Karlsplatz. „In den Köpfen vieler jungen Menschen hat sich Einiges angestaut, was nun ausgelebt werden muss. Kontakte mit Gleichaltrigen zu knüpfen und zu pflegen sowie ausgelassen zu feiern gehört dazu. Abgesehen davon dürfen wir nicht vergessen: Jugendliche treffen sich nun einmal gerade im Sommer gerne im Freien, das war auch schon vor der Corona-Krise so“, meint Peter Begsteiger. Der Vereinsgründer und Obmann des Kinderhilfswerks sowie Spiel- und Erlebnispädagoge hat jahrelange Erfahrung in der Arbeit mit jungen Menschen. Damit es nicht wie in Wien zur Konfrontation mit der Polizei kommt, schlägt er daher vor: „Die Linzer Stadtpolitik, aber auch politisch Verantwortliche in anderen oö. Gemeinden, sollten das Thema offensiv angehen und sich gemeinsam mit Partnern aus der Jugendarbeit überlegen, wo im öffentlichen Raum Platz für Jugendliche geschaffen werden kann. Orte, wo sie sicher und selbstbestimmt sind, Beziehungen abseits ihrer Familie erleben und weitgehend ungestört sorgenfreie Stunden verbringen können.“ Eltern und andere Bezugspersonen sind gefordert, mit den Jugendlichen in einen Austausch auf Augenhöhe über „Fair-Play-Regeln“ des Miteinanders im öffentlichen Raum zu kommen. Wenn es z.B. um das Rücksichtnehmen auf Anrainer*innen und das richtige Entsorgen des „Partymülls“ geht. Im Kinderhilfswerk und bei SOS-Kinderdorf ist man sich einig: Die meisten junge Menschen haben sich während der Corona-Krise sehr solidarisch gezeigt und Maßnahmen verantwortungsvoll mitgetragen. Nun liegt es in der Verantwortung der Erwachsenen zu signalisieren, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist. Sondern, dass wir an unsere Jugendliche glauben, weil sie unsere Zukunft sind, dass wir ihnen zuhören und ihre Anliegen ernst nehmen.

Ausbau des psychotherapeutischen Angebots als Zukunftsinvestition

Viele Expert*innen gehen davon aus, dass die Notwendigkeit professioneller therapeutischer und pädagogischer Unterstützung für junge Menschen in den nächsten Monaten weiter zunehmen wird, auch dann, wenn die Corona-Krise überstanden ist. Deshalb wünschen sich Kinderhilfswerk und SOS-Kinderdorf – auch mit Blick auf das kommende Schuljahr – den Ausbau des leistbaren Psychotherapie-Angebots für alle Kinder und Jugendlichen. Denn ob ein Kind oder Jugendlicher einen Therapieplatz bekommt, darf nicht von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern abhängig sein. Das würde die derzeit viel zitierte Schere der sozialen Ungleichheit weiter öffnen und damit den gesellschaftlichen Frieden gefährden. „Die gute Nachricht ist, in der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen kann man bereits mit relativ wenig Ressourcen nachhaltig viel bewirken, besonders dann, wenn eine seelische Krise noch nicht zu einem chronischen Leiden geworden ist“, weiß Psychotherapeut Rudolf Fessl. „Wenn wir rechtzeitig und mit zielgerichteter Förderung in die psychische Gesundheit von jungen Menschen investieren, dann investieren wir gleichzeitig in ihre körperliche Gesundheit, in ihre sozialen Chancen, in ihren Bildungsweg und damit in ihre Zukunftsperspektiven. Ich bin überzeugt, dass das die beste Investition in unsere Gesellschaft von morgen wäre.“


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